Barbara Stamm, Präsidentin des Bayerischen Landtags a.D., hat St. Lukas am 7. April 2019 besucht und mit uns Gottesdienst gefeiert; hier ist ihre Kanzelrede zum Nachlesen.
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Kanzelrede in der St.-Lukas-Kirche am 7. April 2019 von Barbara Stamm, Präsidentin des Bayerischen Landtags a.D.
„Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.“ Markus 10,43-44
Diese Botschaft des heutigen Evangeliums war nicht nur für Jakobus und Johannes, die doch zu den engsten Jüngern Jesu gehörten, eine Zumutung. Sie ist bis heute ein Anspruch an die Menschen, der vielem widerspricht, was sonst doch allgemein gefordert und erwartet wird – nicht nur von Politikerinnen und Politikern, sondern von uns allen. Ich nenne nur einige Schlagworte:
Stärke, Durchsetzungsvermögen, Machtinstinkt, Ehrgeiz.
Dass man diese vermeintlichen Tugenden über Bord werfen soll, dass man seine eigene Person und seine persönlichen Ambitionen vollständig hintanstellen soll, das wirkt in der heutigen Zeit für viele Menschen doch sehr befremdlich. Und doch ist dies der Kern des heutigen Evangeliums, der Kern der christlichen Botschaft vom Herrschen und Dienen. Denn das Herrschen wird hier gleichgesetzt mit Unterdrückung und Gewalt.
Wer sich hingegen als Diener seiner Mitmenschen begreift, zeigt wahre Größe und wird „der Erste“ sein.
Auch der Kirchenvater Augustinus hat vor dem Herrscherwillen des Menschen mit sehr eindringlichen Worten gewarnt, als er sagte: „Die Sucht zu herrschen, stürzt das Menschengeschlecht in großes Unglück und bringt es an den Rand des Verderbens.“
Und vor allem Jesus selbst will Vorbild sein und sagt zu seinen Jüngern: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene (…).“
Wenn man sich nun die Frage stellt, wie uns das Christentum für die zukünftigen Herausforderungen Hilfestellung und Leitfaden sein kann, ist dieser Blick auf das Herrschen und Dienen unheimlich wertvoll.
An einigen Beispielen kann man dies sicherlich gut verdeutlichen.
Eine der ganz großen Herausforderungen der Zukunft ist das Thema Digitalisierung und künstliche Intelligenz. Diese Entwicklungen bringen ganz enorme Veränderungen für uns Menschen mit sich – Veränderungen, die einige mit Optimismus sehen, sehr viele aber auch mit großer Sorge.
Die Menschen fragen sich: „Bin ich diesen neuen Techniken überhaupt gewachsen, kann ich damit umgehen?“
Viele haben auch existenzielle Sorgen: „Werde ich überhaupt noch gebraucht oder wird meine Arbeitskraft demnächst vielleicht durch einen Roboter ersetzt?“
Angesichts der großen Neuerungen, die die digitale Revolution mit sich bringt, kann für uns die Frage nach dem Verhältnis von Herrschen und Dienen ein wichtiger Leitfaden sein.
Wir sollten uns immer fragen: Ist die Technik dafür da, den Menschen zu dienen und sie in ihrem Mensch-Sein zu unterstützen. Oder ist es vielleicht inzwischen manchmal so, dass die Technik eher die Menschen beherrscht?
Wenn man teilweise sieht, wie die Menschen durch die Straßen laufen oder in der Bahn sitzen – die Augen zwanghaft auf ihr Smartphone gerichtet – dann kann man schon den Eindruck bekommen, dass da etwas aus dem Lot geraten ist. Und man fragt sich: „Wer beherrscht hier eigentlich wen?“
Bei diesen Entwicklungen gilt es sehr wachsam zu sein!
Und besonders wachsam muss man stellvertretend für diejenigen Menschen sein, die solch einer Entwicklung gegenüber hilflos ausgeliefert sind.
Dies ist vor allem zu Beginn des Lebens und am Lebensabend der Fall: Wenn Menschen auf fremde Hilfe und Unterstützung angewiesen sind und jemanden brauchen, der sich um sie kümmert. Blicken wir zunächst auf die Kinder, die oft schon sehr früh mit den neuen Medien in Kontakt kommen und nun auch möglichst flächendeckend in sogenannten „digitalen Klassenzimmern“ unterrichtet werden sollen. Natürlich ist es wichtig, dass Kinder und Jugendliche lernen, mit diesen Techniken umzugehen. Und natürlich können moderne Medien bestimmte Unterrichtsinhalte besonders anschaulich darstellen. Aber ich sage immer: „Die Kinder sollten schon auch noch blättern und nicht nur wischen.“ Und Lehrer und Lehrerinnen aus Fleisch und Blut, die ihre Schülerinnen kennen und emotionale Bezugspersonen sind, können niemals durch ein I-Pad ersetzt werden.
Und kein Computer-Programm dieser Welt kann den jungen Menschen Gemeinschaftssinn, gegenseitige Rücksichtnahme und soziales Miteinander beibringen.
Diese Werte sind nicht nur für uns Christen die Richtschnur, sondern sie sind auch insgesamt das Fundament für unsere ganze Gesellschaft. Und diese Werte lernen die Kinder nur in der Gemeinschaft und im Miteinander.
Der Dichter Novalis hat diese Erkenntnis bereits vor über 200 Jahren in die schönen Worte geformt: „Das Menschsein lernt der Mensch nur am Menschen.“
Und genauso ist es auch bei den Älteren in unserem Land, gerade auch bei denjenigen, die auf Hilfe und Pflege angewiesen sind. Natürlich kann es eine enorme Erleichterung für eine Pflegekraft sein, wenn sie beim Heben ihrer Patienten eine technische Unterstützung hat, die ihren Rücken und ihre Gesundheit schont. Aber die Vorstellung, dass sogenannte „Pflegeroboter“ die Lösung sein sollen, weil es nicht mehr genug Pflegepersonal gibt, ist – nicht nur für mich – zutiefst unmenschlich. Denn ein Pflegeroboter ersetzt nicht die warme, mitfühlende Hand eines Mitmenschen.
Ich bin der festen Überzeugung: Wenn wir als Menschen die Technik als Hilfsmittel sehen und nicht selbst zu Dienern der Technik werden, dann können wir selbst auch unsererseits Dienende für unsere Mitmenschen sein.
Eine weitere Herausforderung, die die Zukunft an uns stellt, ist nach wie vor das Thema „Integration“. So viele Menschen mussten in den vergangenen Jahren ihre Heimat verlassen aus Angst vor Krieg, Tod und Verfolgung.
Und auch wenn die öffentliche Meinung sich leider zum Teil sehr gewandelt hat: Ich finde nach wie vor, dass wir gerade als Christen stolz darauf sein können, dass wir den Hilfsbedürftigen ein freundliches Gesicht gezeigt und die Hand gereicht haben. Denn gerade auch hier sollten unser christlicher Glaube und die Worte Jesu unsere Richtschnur sein: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ [Mt. 25,40]
Wir sollten in unserem Engagement und unserer Mitmenschlichkeit auch nicht nachlassen. Denn die erste Notversorgung der Geflüchteten war ein wichtiger Schritt. Die Integration derjenigen, die dauerhaft hierbleiben und hier eine neue Heimat gefunden haben, bleibt aber nach wie vor eine große Herausforderung für die Zukunft. Vieles ist beim Thema Flüchtlingspolitik und Integration in der Vergangenheit kritisiert worden; vieles ist undifferenziert an den Pranger gestellt worden; ich gebe auch zu: Vieles kann man sicherlich noch besser machen. Wichtig ist aber auch, einmal herauszustellen, was gut funktioniert, wo Hilfe für Migrantinnen und Migranten wunderbar gelingt, wo Integration gelebt wird, nachhaltig, und wo aus gelebter Nächstenliebe heraus Vieles auf den Weg gebracht wird.
Wir Christen sollten hier Vorbilder sein. Denn wir haben ein gemeinsames Ziel: Uns sollte es darum gehen, angesichts der großen Zahl an Geflüchteten nicht das jeweilige Einzelschicksal aus dem Blick zu verlieren. Als Brüder und Schwestern sollten wir nicht verlernen, den einzelnen Menschen auch als Menschen wahrzunehmen, der es sich nicht ausgesucht hat, in welches Schicksal er hineingeboren wurde.
Wir Christen sollten auch in diesem schwierigen Bereich versuchen, Diener unserer Mitmenschen zu sein, denen das Wohl aller Menschen am Herzen liegt. Wir alle sind Kinder Gottes und sollten unser Mitgefühl und unsere Anteilnahme mit dem Schicksal des Anderen nicht verlernen. Das ist kein „Päckchen“, das jeder selbst zu tragen hat, sondern ein Gesamtpaket, an dem viele mitschnüren müssen – und deshalb ist es eine Gemeinschaftsaufgabe.
Integration kann nicht verordnet werden, sondern muss mit den Menschen zusammen geschehen – je näher, desto besser. Integration will und muss gelebt werden. Der Wohnort, der Stadtteil, die Nachbarschaft, die Kindergärten und Schulen, die Jugendclubs und Vereine, aber auch die vielen Arbeitsstellen sind die Orte und Räume, an denen Integration konkret und spürbar wird. Hier entscheidet sich Tag für Tag, ob Schulabschlüsse gelingen, ob eine Bewerbung erfolgreich war, ob Freundschaften entstehen und ob nachbarschaftliche Netzwerke geknüpft werden. Bereiche, in denen jede und jeder von uns seinen Beitrag leisten kann. Das sind die Fundamente für eine gelingende Integration: Teilhabe, Vertrauen, Wertschätzung und Anerkennung – mit einem Wort: „christliche Nächstenliebe“.
Heinrich von Kleist hat einmal gesagt: „Vertrauen und Achtung, das sind die beiden unzertrennlichen Grundpfeiler der Liebe.“ [Ende Zitat]
Achtung ist für mich immer die Achtung vor der Würde des Menschen. Diese muss in all unserem Tun die Richtschnur sein. Vertrauen ist für mich sicherlich das Vertrauen in meine Mitmenschen.
Vor allem ist es aber ein großes Gottvertrauen – das Wissen, dass es eine Instanz gibt, die die Dinge im Letzten schon zu einem guten Ende führen wird.
Mit diesem Vertrauen können wir als Christen auch den schwierigen Herausforderungen, die die Zukunft für uns bereithält, mit Einsatzbereitschaft, Gelassenheit und frohem Mut entgegensehen.
Es gilt das gesprochene Wort!