Predigt zu Lukas 1, 26-38 in St. Lukas in St. Jakob München am Sonntag, 15.12. 2024 (Rosa Sonntag / Gaudete)
Liebe Gemeinde,
„empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria“. Wenn wir das im Gottesdienst sprechen, weiß ich: Da werden manche leiser. Unsicher. Vielleicht auch verärgert. Was soll das alte Zeug noch mit Jungfrauengeburt.
Heute am „rosa Sonntag“ beschäftigt uns die wichtigste Geschichte aus der Bibel dazu. Von Maria. „Röslein“ so besingt sie das Adventslied. Maria ist auch ein bisschen rosa. Und ihre Geschichte, wie sie uns der Evangelist Lukas erzählt, ist zum Wundern
Maria und Josef sind einander vertraut, sozusagen verlobt, das heißt: der Ehevertrag ist schon unterschrieben. Solche Eheverträge machen zu dieser Zeit vor allem die Eltern. Das ideale Heiratsalter der Männer ist in den jüdischen Quellen bei 18 festgelegt, für Frauen etwas jünger. Josef und Maria, ein 18-jähriger und seine vielleicht 16-jährige Braut. Sie warten auf ihre Hochzeit, es ist nicht mehr lang hin. Und dann kommt alles ganz anders. Ein Engel kommt zu Maria. Und es wird auch einer zu Josef kommen, davon erzählt die Bibel an anderer Stelle. Bleiben wir jetzt bei Maria. Was der Engel ihr sagt, finde ich unglaublich – unglaublich schön und kompliziert. Maria wird schwanger, sie wird Mutter eines Sohnes. Und zweimal betont Lukas: Maria ist Jungfrau. Ein Reizwort für viele. Für viele Christinnen und Christen ist die Jungfrau Maria sehr wichtig. Für andere, besonders für Frauen, ist das schwierig. Sie sind empört. „Jungfräulichkeit“ – eine Männerphantasie, die Frauen klein halten, ihnen keine Lust gönnen will….
Dabei sagt das Wort „Jungfrau“ zur Zeit des Evangeliums einfach nur etwas über Marias rechtlichen Status. Eine Jungfrau ist eine junge Frau vor der Ehe. Und vielleicht hat sie noch keinen Geschlechtsverkehr gehabt. Aber so wichtig ist das hier nicht. Maria – eine Jungfrau, oder junge Frau kurz vor der Ehe. Sie soll schwanger werden. Ihr Sohn wird „Sohn des Höchsten“ sein.
Die Bibel erzählt die Geschichte eines besonderen Kinderwunsches, eines besonderen Wunschkindes. Gott sehnt sich nach einem Kind. Und dazu berührt das Geheimnis Gottes einen Menschen -Maria – körperlich, seelisch, geistig. Und gleichzeitig diskret, verborgen vor unseren neugierigen Augen und besserwisserischen Fragen.
Die heilige Geistkraft wird dich überschatten, hört Maria. So wie eine Wolke Schatten wirft. Die Wolke ist in der hebräischen Bibel Zeichen für die Gegenwart Gottes. Die Wolke zeigt: Gott ist jetzt da. Und sie verbirgt zugleich: was genau geschieht. Du kannst nicht hinter die Wolke blicken, du kannst den Schatten, der auf Maria fällt, nicht erhellen. Das Geheimnis dieser Schwangerschaft, dieses Kindes, dieses Menschen bleibt in Gott verborgen – und bleibt Wunder.
Wenn ich das Wunderbare von vornherein ausschließe und von Gott erwarte, dass er nur im Rahmen meiner Vernunft existiert, dann kann die Geschichte von Maria und dem Engel nicht „wahr“ sein.
Theologisch lerne ich viel von der Mystik. Und mystische Theologie denkt anders, als ich es gewohnt bin. Sie denkt von der spirituellen Erfahrung her. Sie rechnet mit Wundern und lädt mich dazu ein, das auch tun: Gott wirken lassen. Mit Einbrüchen des Göttlichen in meinem Leben rechnen, sogar in mein körperliches Leben. Gott innerlich erfahren. Das heißt: immer auch im eigenen Körper. Was höre ich, was fühle ich, was spüre ich… vom Geheimnis, vom Leben, von Gott?
Das göttliche Geheimnis geht ein in die Materie, ins Körperliche. Das erzählt die Geschichte von der Schwangerschaft der jungen Maria. Der ewige Gott kommt einem Mädchen aus Palästina so nahe, dass in ihr ein Kind entsteht. Das göttliche Geheimnis berührt das Körperliche. Das ist ungeheuer. Das bleibt fremd, das kann man nicht auflösen und wegerklären.
Gott wünscht sich ein Kind. Und dieses Wünschen und Sehnen berührt das Menschliche, das Körperliche. Jesus – Wunder und Wunschkind Gottes.
Wünschst du dir Kinder? Das ist eine sehr persönliche und wichtige Frage im Leben eines jungen Menschen heute. Frühere Generationen haben sich die Frage nicht gestellt. Man hat Kinder geboren. Und man hat gelitten unter Kinderlosigkeit, Man nahm beides als Schicksal hin, aus Gottes Hand.
Heute ist das mit dem Sich-Kinder-Wünschen ein bisschen anders. Frauen und Männer haben mehr Möglichkeiten, ihr Leben selbständig zu gestalten. sich bewusst für ein Kind zu entscheiden. Oder auch bewusst für ein Leben ohne Kind. Es gibt Seminare für Frauen „Willst du Kinder?“. Und es sollte solche Seminare auch für Männer geben, finde ich.
Die Frage „Wünschst du dir Kinder?“ hängt auch nicht mehr davon ab, ob und mit wem ich verheiratet bin. Ob ich Männer oder Frauen liebe. Ob ich alleine oder in Partnerschaft und Ehe ein Kind großziehen möchte. Ich glaube, die Frage „Wünschst du dir Kinder?“ stellt sich heute und künftig in jeder Biografie. Und lässt sich nicht mehr schicksalsergeben wegschieben, mit einem „Das macht man nicht“ „Das darf man nur so“ und „du darfst das nicht wünschen“. Es ist eine geistliche Frage: Wie gebe ich Leben weiter? Als Mutter oder Vater, als Patin oder Lehrer, als geistlicher Mensch oder noch ganz anders … Wie gebe ich Leben weiter?
Und dann gibt es da noch eine andere Seite. Menschen wünschen sich ein Kind, und es kommt einfach nicht. In Taufgesprächen erzählen mir Eltern manchmal: vom langen Warten, von x Behandlungen in Kinderwunschkliniken, warten, warten, bereit sein, hier ein Medikament nehmen, dort sich nochmal untersuchen lassen. Was für ein Stress für die, die im Herzen schon Vater oder Mutter sind und es dauert und dauert. Sich ein Kind wünschen kann psychisch extrem zermürben und manche Ehe und Beziehung zerbricht daran. Auch Freundschaften verlieren sich, wenn Außenstehende den Stress eines Kinderwunsches nicht mitfühlen können.
Die Zahl der Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch steigt stetig an. Und das Thema ist sehr sensibel und mit Scham und auch mit Vorurteilen besetzt.
Ich geh regelmäßig zu einer offenen Vätergruppe, die sich in Räumen der Stadt München trifft. Mal abends nur die Erwachsenen. Und mal am Sonntag zu einem Familiennachmittag mit selbstgebackenen Plätzchen und Kuchen. Die Kinder spielen Kicker, bauen eine Eisenbahn, klettern, hüpfen, rutschen oder spielen fangen im Gang. Die Väter unterhalten und beraten sich, und hören vor allem zu. Es geht um Windeln, Kindergeburtstage und Kita-Plätze, wie sich die Kinder grade entwickeln, wie es den Familien so geht und manchmal auch um die sensiblen Geschichten und Gefühle vor und in der Schwangerschaft, rund um die Geburt, und überhaupt. Das Besondere an dieser Gruppe: Die Väter sind Männer, die Männer lieben: Schwule Männer. Manche sprechen von Regenbogenvätern und -kindern
Die Kinder haben verschiedene Geschichten. Die einen sind adoptiert worden. Bei anderen haben die Papas haben die Pflegschaft übernommen. Wieder andere Kinder leben hier bei ihren Papas, die Mama lebt in den USA. Bei wieder anderen Kindern haben sich ein Mann oder zwei mit einer Frau oder zwei zusammengetan. Man ist befreundet, man ist kein Liebespaar aber man ist ein Elternteam, das manchmal aus drei oder vier Menschen besteht.
In Gesellschaft, Politik und Kirche werden diese Themen hitzig und emotional diskutiert. Samenspende – Eizellspende – Leihmutterschuft – Queere Menschen als Eltern …. Lauter Reizbegriffe, Reizthemen, zu dem viele schnelle Urteile haben. Es ist sicher wichtig, dass darüber nachgedacht wird.
Ich sehe die Gesichter und konkreten Geschichten dieser Kinder, ihrer Mütter, Väter und Familien.
Ich höre die verschiedenen Geschichten, und mir geht auf: Jedes Mädchen, jeder Junge hat seine ganz Wunschkindgeschichte.
Jedes Leben ist ein Wunder, ein Geschenk, ein Geheimnis. Mit jedem Menschenkind geht Gott einen eigenen Weg, vom ersten Moment, vom ersten Wünschen an. Das gilt jedem Menschen, dir und mir, ob du Frau oder Mann oder divers bist. Ob du dieses oder jenes Geschlecht liebst. Ob deine Familie so oder so oder so aussieht.
Du bist gewollt, du bist erwünscht, hoffentlich von deinen Eltern, ganz sicher und auf ewig von Gott. Selbst wenn deine Eltern anderes gesagt haben sollten: Gott hat dich ersehnt und ausgedacht. Als du entstanden bist, hat Gott gewirkt, verborgen im Schatten wie hinter einer Wolke. Gott wollte genau dich.
Ein letztes zu unserer Geschichte aus dem Lukasevangelium: Da kommt ein Engel: Bibel halt. Wieder so eine alte Vorstellung wie die Jungfrau. Wir sind erwachsen, wir sind aufgeklärte Menschen. Engel gibt es nicht. So habe ich irgendwie auch gedacht – bis mir jemand die Augen geöffnet hat: Christian Lehnert, ein Mystiker unserer Tage, evangelischer Pfarrer aus Ostdeutschland. „Ins Innere hinaus“ heißt sein Buch über Engel. Gar nicht kitschig, sondern klug, tiefsinnig. Was Engel sind, ist gar nicht so klar definiert, weder in den Heiligen Schriften noch in den Erfahrungen der Menschen. Einer von vielen Versuchen, ins Wort zu fassen, was Engel sind heiß: „Da-ist-etwas-Erfahrungen“, „Zeigegesten“. Da wird mir im Inneren etwas gezeigt. Engel haben mit meinem Inneren zu tun. Engel sind wie Spiegel. Sie spiegeln mir, ob ich mich öffne für das Göttliche.
Nicht die Engel sind im Lauf der Jahrhunderte verschwunden oder verfallen, sondern: unsere Sinne für die innere Welt. Es ist heute winterlich kalt geworden in unserer inneren Welt.
Der Engel Gabriel kommt in Maria hinein, heißt es genau übersetzt. Ins Innere hinaus –Oder Ins Innere hinaus. Da ist etwas. Und das kannst du auch erleben, wenn du in dein Inneres hineinhorchst; Spür dem Geheimnis deines Lebens nach. Geh ins Innere hinaus. Da ist was. Da ist wer und sagt dir: Sei gegrüßt! Freu dich! gesegnet und gewollt bist du, von Mutterleib an. Vom Ewigen berührt und gesegnet ist dein Körper, deine Seele, dein Geist, gesegnet ist die Frucht deines Lebens.
Pfarrer Dr. Florian Ihsen, Spirituelles Zentrum