Jubiläum: 40 Jahre queere Gottesdienste in München

Autor: Wolfgang Scheel

Am Donnerstag, dem 2. Mai 1985, um 19 Uhr war es soweit: Der erste von Homosexuellen vorbereitete Gottesdienst Münchens konnte in der evangelisch-lutherischen Kreuzkirche in Schwabing gefeiert werden.

Es war ein ökumenischer Gottesdienst, organisiert von der ökumenischen Arbeitsgruppe „Homosexuelle und Kirche“, deren Münchner Regionalgruppe seit Frühjahr 1980 bestand. Mit diesem ersten Gottesdienst wurde nun ein weiterer Schritt in die (kirchliche) Öffentlichkeit unternommen.

Der Gottesdienst fand im Rahmen der 1. Lesbisch-Schwulen Kulturwoche „Viorosa“ statt. Im Vorbereitungsteam arbeitete der evangelische Pfarrer Leo Volleth (Ismaning) von der HuK mit.

Ich war damals Student der evangelischen Theologie. Gleichzeitig war ich seit knapp einem Jahr in meiner ersten richtigen Beziehung mit einem etwas jüngeren Theologiestudenten, und ich war großenteils nicht geoutet. Gleichzeitig stand ich kurz vor dem 1. kirchlichen Examen für den Pfarrdienst.

In der Universitäts-Mensa wurden die Programme von Viorosa verteilt. Der Homosexuellen-Gottesdienst sprang mir dort gleich ins Auge. Ich erinnere mich jedoch an ein etwas flaues Gefühl, je näher ich der Kreuzkirche kam. Ich war zwar seit einiger Zeit Mitglied der schwulen Studentengruppe HALT, die sich in der Evangelischen Studentengemeinde, Friedrichstraße 25 traf – jedoch war dies nun ein weiterer Schritt in die Öffentlichkeit: „Wird mich da jemand aus dem Landeskirchenamt sehen, der mich kennt?“ Solche und ähnliche Gedanken gingen mir durch den Kopf. Zwar wusste ich von einigen homosexuellen Pfarrern, die in den 1980er-Jahren schon auf ein gewachsenes Maß von Toleranz in der evangelischen Kirche stießen. Auch der Pfarrer meiner Münchner Gemeinde hatte mir für den Weg als schwuler Pfarrer Mut gemacht. Jedoch waren Einschränkungen für den Dienst als Pfarrer damals durchaus noch denkbar.

Nach 40 Jahren habe ich zumindest Erinnerungen an meine damaligen Empfindungen: Im Gottesdienst spürte ich dann eine angenehme, befreiende, lebendig-aktivistische und gleichzeitig entspannte Atmosphäre. Ein Anfang war gemacht für meinen jahrzehntelangen Weg als schwuler Christ und Pfarrer in der evangelisch-lutherischen Kirche.

Damals folgte im Gemeindehaus der Kreuzkirche noch eine Diskussion unter dem Thema „Als Homosexueller in der Kirche bleiben?! Ist wirklich ein schweigsamer Homosexueller ein guter Christ?“ Fragen, die heute in der evangelischen Kirche so nicht mehr gestellt zu werden brauchen.

Jetzt in diesen Tagen und Monaten feiern wir den 40. Jahrestag. Vieles hat sich seitdem zum Guten geändert – hin zu einer queer-freundlichen Kirche. Viele homosexuelle, queere Gottesdienste wurden seitdem in München gefeiert, auch schon 31 Jahre lang CSD-Gottesdienste.

Der diesjährige CSD-Gottesdienst am 28. Juni, 10 Uhr wird zum Jubiläum am historischen Ort in der Kreuzkirche gefeiert. Dort wollen wir auch an den runden Jahrestag erinnern. Und vor allem sind zu diesem Gottesdienst natürlich – wie immer – auch nicht-queere Christinnen und Christen ganz herzlich eingeladen, mit uns zu feiern.

Ihr Wolfgang Scheel


Der Autor: Wolfgang Scheel ist evangelisch-lutherischer Pfarrer im Ruhestand in München. Er engagiert sich bei queeren Aktivitäten unserer Landeskirche, z.B. seit 20 Jahren im Team des ökumenischen Münchner CSD-Gottesdienstessitzt im Vorstand der Rosa Liste (kommunale Münchner Wählergruppe) und engagiert sich als ehrenamtlicher Guide queerer Stadtteilführungen. Veröffentlichungen unter anderem über die Geschichte der queeren Weihnachtsmärkte, die weltweit 2005 in München mit Pink Christmas ihren Ausgangspunkt hatten. Sie erreichen ihn unter: wolfgang.scheel@elkb.de

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