Pfarrerin Uli Wilhelm (ehemals Aldebert) war Pfarrerin an St. Lukas von 1990-1994. Sie gründete damals unseren Gospelchor. Nun ist sie nach schwerer Krankheit verstorben. Am 19.03.2025 fand die Beerdigung durch Regionalbischof Thomas Prieto Peral in Garmisch-Partenkirchen statt. Lesen Sie hier seine Traueransprache.

Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?
Die Antwort auf diese Frage, liebe Trauergemeinde und liebe Familie, war für Ulrike Wilhelm immer sonnenklar. So klar, wie das Licht eines Frühlingsmorgens in den Bergen, so klar, wie die Dankbarkeit und die Zuversicht, die Ulrike ausstrahlte, so klar wie die Worte des Psalms. Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.
Das ist der Glaube, der Ulrike Halt gab, bis zum Schluss. Dass Gott, der Himmel und Erde gescha?en hat, auch ihrem Leben Halt gibt. Ulrike sagte letztes Jahr zu mir, als sie schon im Krankenhaus lag: Ich weiß nicht, welcher schwere Weg jetzt vor mir liegt, aber ich weiß, dass Gott mich hält. Und es war eigentümlich. Ich saß an ihrem Krankenbett, und sie gab mir Kraft durch ihren Glauben. Das war Ulrike. Um sie herum war es hell. Sie hatte eine bodenständige Art, dem Himmel nah zu sein. Und das hat uns allen gutgetan. Damit hat sie vielen Menschen Hoffnung gegeben.
Letzte Woche war sie im Trauerhaus aufgebahrt und viele Menschen haben von ihr Abschied genommen. So war es ihr Wunsch: In ein Dirndl gekleidet noch einmal für alle da zu sein. Und die Menschen kamen. Am Ende des Tages war Ulrike in ein Blumenmeer gebettet. Was für ein schöneres Bild hätte es geben können für die Zuversicht und die Dankbarkeit, die Ulrike zeitlebens geprägt haben.
Sie sah das, was ihr geschenkt war, und klagte nicht über das, was ihr fehlte. Im letzten Sommer, als sie schon schwer mit der Leukämie zu kämpfen hatte und schon viel Zeit mit der Chemotherapie verbrachte, da zog es sie wieder raus in die Natur. Dort fühlte sie sich frei, da spürte sie das Licht. Ihr Arzt sagte: Das ist meine erste Leukämie-Patientin, die während der Behandlung auf einen Berg gestiegen ist. Der Berg war nicht hoch, aber es war ihr wichtig und es tat ihr gut. Sie konnte das auch deshalb noch, weil sie Ihre gute Begleitung hatte, lieber Karl Wilhelm, und weil Sie als Schwester, liebe Eva Kaletsch, ihr bis hin zur Knochenmarkspende immer zur Seite standen.
Ulrike fühlte sich hingezogen zum Licht der Berge. Sie liebte Sonnenaufgangswanderungen auf die Berge. Man muss da früh raus, aber es gibt kaum etwas Schöneres, als auf den Berg zu steigen, in das dämmernde Morgenlicht hinein und der aufgehenden Sonne entgegen. Ulrike war 2018 hierher nach Garmisch-Partenkirchen gekommen. Sie hatte um diese Stelle gekämpft, sie wollte hierher zu ihren Bergen und zu den Menschen, die den Bergen nahe sind. In ihrer Bewerbung hatte sie sogar extra darauf hingewiesen, dass ihre Mutter in Garmisch geboren war und ihr Vater am Bau der Zugspitzbahn mitgearbeitet hatte. Sie bekam die Stelle und sie lud dann recht bald ein zur Sonnenaufgangswanderung. Sie hatte sich die Zeit des Sonnenaufgangs genau rausgesucht und die Wanderung geplant. Als die Truppe dann losmarschierte, blieb sie den ganzen Weg lang im Dunklen und im Schatten.
Ulrike hatte nicht daran gedacht, dass es in Garmisch deutlich länger dauern kann, bis man die Sonne endlich sieht. Aber sie nahm es wie so oft mit Humor.
Ulrike hat sich gewünscht, dass wir heute ihren Konfirmationsspruch hören. Es ist ein Wort aus dem Johannesevangelium über das göttliche Licht, das uns das Leben hell macht.
Da redete Jesus abermals zu ihnen und sprach: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.
Das war Ulrikes Satz. Christus ist das Licht der Welt. Sie lebte aus diesem Licht Gottes und deshalb war es um sie herum hell. Sie war aber gerade deshalb so ehrlich, so menschlich und so glaubwürdig, weil sie wusste, dass Christus ihr Licht ist. Sie machte sich selbst nicht zur Lichtgestalt. Und das spürte man. Ihr ging es darum, dass diese Welt heller wird. Und die Kraft dazu kam aus ihrem Glauben an Jesus Christus, das Licht der Welt.
Am 23. Juli vorletztes Jahr stand sie mit dem katholischen Kollegen Florian Hammerl oben auf der Zugspitze, am Schneeferner-Gletscher oder dem, was noch von ihm übrig ist. Sie feierte ein Requiem für den Gletscher. Das Medienecho war enorm. Die Bilder vom Prozessionskreuz vor dem Schneeferner gingen durch Zeitungen und Fernsehen. Die Botschaft ging unter die Haut. Es war viel mehr als der Appell zum Klimaschutz oder die Klage über eine zerstörte Zukunft. Da war die tiefe Trauer um das Kostbare und Unwiederbringliche des schmelzenden Gletschers, da war Raum für die Sorgen, die der Klimawandel für die Region bringt, aber da war vor allem Trost und Stärkung für uns alle, nicht aufzugeben, nicht das Ende der Welt herbeizuklagen, sondern in Gottes Namen anzupacken und etwas zu tun für den Erhalt dieser Welt.
Ich bin das Licht der Welt, spricht Christus. Es ist das Wort dessen, der gekreuzigt war und auferstanden ist. Das Licht, das unser Leben wirklich hell macht, ist das Licht, das durch die Dunkelheit hindurch scheint. There is a crack in everything, and that’s where the light gets in.
Diesen Liedvers hat Leonard Cohen einmal gesungen, der Jude war, aber die Grundbotschaft des christlichen Glaubens auf den Punkt brachte. Es gibt einen Riss in allem, aber das ist es, wo das Licht durchscheint.
Wir alle hier werden davon erzählen können, welche Risse es in unserem Leben gibt. Manche sind verheilt, manche wurden im Lauf der Zeit kleiner, andere klaffen und tun weh. Es ist eine schmerzliche Erfahrung, dass unser Leben oft aus Bruchstücken besteht. Aus Plänen, die nicht vollendet sind. Aus Fehlern, die wir gemacht haben. Aus Freundschaften, die zerbrochen sind, oder aus Beziehungen, die scheitern. There is a crack in everything, but that’s where the light gets in. Wir Christen glauben, dass die Bruchstücke unseres Lebens einen Sinn haben und etwas Helles werden können. Weil die Geschichte von Jesus Christus, sein eigenes Zerbrechen am Kreuz und seine Auferstehung, unsere Bruchstücke zusammenfügt. Zu etwas Schönem und Hellem macht. Das war Ulrikes Glaube. Das hat sie ausgestrahlt.
Einer der schmerzhaften Risse in Ulrikes Leben war das Zerbrechen ihrer ersten Ehe. Mit Ihnen, lieber Herr Aldebert, hatte sich Uli auf ein großes Abenteuer begeben, größer noch als die Besteigung hoher Berge. Sie hatten sich gemeinsam entschlossen, zwei Kinder zu adoptieren, Lukas und Felix. Zwei Kindern eine liebevolle Heimat zu geben, die in den ersten Monaten ihres Lebens nicht genügend Liebe erfahren hatten, das war Ihr Wunsch. Dieser gemeinsame Weg war manchmal sehr steil und kostete alle viel Kraft. Für Ulrike und vermutlich Sie alle blieb manches auf schmerzhafte Weise unvollendet, und sie hätte wohl gerne noch mehr gegeben. There is a crack in everything – legen wir es nun in Gottes Hand, was unausgesprochen blieb und wo ein Riss vielleicht nicht mehr verheilen konnte. Dann wird die Erinnerung an Uli wie ein heller Schein auch durch manche Risse hindurchleuchten.
Ulrike liebte die Musik. Mit ihrer wunderbaren Stimme konnte sie Menschen verzaubern. Sie hatte immer Pläne und Projekte, auch zur Musik. In ihrer ersten Gemeinde St. Lukas in München gründete sie den Gospelchor St. Lukas. Einige aus dem Chor sind heute hier. Bei meiner eigenen Einführung vor einem Jahr konnte ich die Power dieses Chores erleben. Die Power, die einmal von Ulrike ausgegangen war. Wo sie war, musizierte und sang sie. Auch in die Landessynode, der sie 12 Jahre angehörte, brachte sie Klang und Musik. In ihren Gemeinden Icking und später Tutzing war sie geschätzt als Seelsorgerin und hervor- ragende Predigerin. Am Starnberger See und in den Bergen wurde ihr die geistliche Arbeit für Touristen immer wichtiger. Der Tourismus ist ein großes Feld für unsere kirchliche Arbeit, sagte sie immer. Die Menschen sind in ihrer Urlaubszeit besonders o?en für Seelsorge und Spiritualität. Ulrike verstand das und sie kümmerte sich darum.
Ulrike hatte ein großes Gerechtigkeitsempfinden. Das gehörte zu ihrem Glauben und deshalb setzte sie sich für Flüchtlinge ein, unter anderem aus der Ukraine. Sie steht auf und kämpft mit Leidenschaft gegen den wachsenden Rechtsextremismus, gegen dumme menschenverachtende Sprüche und dagegen, dass manche Menschen wieder Angst haben in diesem Land. Entstanden ist daraus das Bündnis gegen Rechtsextremismus in Weilheim.
Ihr Engagement begeistert auch junge Menschen. Ulrike Wilhelm ist die einzige Pfarrerin, die ich kenne, für die eine Schulklasse eine Unterschriftenaktion gemacht hat. Die Klasse wollte sie unbedingt als ihre Religionslehrerin wieder zurückhaben.
Wir alle würden Ulrike auch gerne wieder zurückhaben. Eine Unterschriftenaktion können wir nicht machen, aber wir können sie in Gottes Hand geben und darauf vertrauen, dass er Ulrike Wilhelm in sein Reich aufnimmt, dass sie bei Gott den Klang der Engel hört und dass sie nun die Weite des Himmels schaut, so wie sie die Weite der Berge geliebt hat.
Ein Licht konnte Ulrike zu Lebzeiten nicht mehr sehen. Sie hatte es sich gewünscht, aber die Zeit war nicht mehr da. Das sind die Polarlichter. Zu gerne hätte sie das Funkeln und Strahlen, das Tanzen und Wogen der Lichter des Nordens gesehen. Es hätte ihr gefallen. Aber ich kann mir vorstellen, dass so ein unerfüllter Wunsch im Himmel doch noch seine Erfüllung bekommt. Vielleicht kann sie die Lichter ja nun von oben betrachten, schön und strahlend.
Ich danke Dir, liebe Uli, für den hellen Schein, den Du in diese Welt gebracht hast. Servus und bleib behütet.
Amen.